Mit der*dem Partner*in zusammenziehen? Gemeinsame Wohnung?
Veröffentlicht in Paarbeziehung
Mit der*dem Partner*in zusammenziehen? Gemeinsame Wohnung?
Mit der*dem Partner*in zusammenziehen? In eine gemeinsame Wohnung? Das bedarf manchmal einer gründlicheren Überlegung. Denn nicht immer gelingt es, den Traum vom gemeinsamen Wohnen gut zu realisieren. Paare erleben auch, dass sie, seitdem sie zusammengezogen sind, über eine Flaute in der Partnerschaft klagen oder über ein höheres Maß an Konflikten. Kurz: 24 Stunden, sieben Tage in derselben Wohnung – das heißt vielleicht zu viel räumliche und zeitliche Nähe. Und das ist nicht nur ein Träumchen. Unter Umständen geht man sich bald sprichwörtlich auf den Senkel. Irgendwann hat man sich satt und wundert sich, dass alles zur alltäglichen Routine geworden ist. Paare berichten mir in Paartherapien nicht selten von einem Alltagstrott und der Abwesenheit von qualitativer Zeit – für das Individuelle und für das Paar. Das Besondere ist weg. Trotz viel äußerer Nähe sieht es innerlich mit der Nähe zu die*der Partner*in manchmal anders aus.
Mit der*dem Partner*in zusammenziehen – ein Schritt mit Folgen?
Der Wunsch nach Harmonie und Zweisamkeit ist verständlich. Insbesondere in der ersten Beziehungsphase, wenn Romantik und Verliebtheit großgeschrieben werden, ist es das Ziel vieler Partner*innen, möglichst viel Zeit miteinander zu verbringen. Doch nach dieser intensiven Anfangsphase folgt häufig ein Abschnitt, in dem sich erste Unterschiede, Reibungen und Eigenheiten zeigen. Dann wird die Frage nach Nähe und Distanz deutlicher spürbar. Menschen beginnen, ihre eigenen Freiräume, Interessen und Freundschaften wieder stärker wahrzunehmen.
Wer zu früh zusammenzieht, stellt vielleicht fest, dass sich der Wunsch nach Nähe und der nach Autonomie schwer miteinander verbinden lassen. Konflikte über Alltagsgestaltung, Ordnung, Routinen oder persönliche Freiräume sind dann oft Ausdruck eines tieferliegenden Aushandlungsprozesses: Wie nah darf, wie nah will ich die*den Partner*in an mich heranlassen? Hier zeigt sich auch, wie Menschen Nähe und Distanz innerhalb des Zusammenlebens in der Partnerschaft gestalten.
Nähe und Distanz – das Spannungsfeld im gemeinsamen Wohnen
Aus einer emotionsfokussierten Perspektive wird Nähe in Beziehungen immer auch mit Verletzlichkeit verbunden angesehen. Wer sich in einem gemeinsamen Zuhause emotional und räumlich zeigt, zeigt sich, so betrachtet, zugleich auch in seiner Verletzbarkeit. Unter derselben Decke zu leben bedeutet auch, unter denselben Blicken zu stehen. Man wird gesehen – mit Stärken und Schwächen, auch verletzlich und angewiesen. Manchen Partner*innen fällt das leicht, andere erleben es als Herausforderung.
Aus bindungstheoretischer Sicht würde man wohl sagen, dass Menschen Nähe und Distanz unterschiedlich regulieren – abhängig von frühen Beziehungserfahrungen. Wer sich in Beziehungen sicher gebunden erlebt, genießt, so verstanden, Nähe meist, ohne sich bedroht zu fühlen. Wer eher ängstlich gebunden ist, wünscht sich, aus bindungstheoretischer Perspektive betrachtet, womöglich intensive Nähe und erlebt es als herausfordernd, wenn sie nicht gewährleistet scheint. Wer vermeidend-autonom gebunden ist, reagiert, dieser Theorie nach, auf zu viel Nähe manchmal mit innerem Rückzug. So gesehen darf die Entscheidung, zusammenzuziehen, vielleicht auch als Begegnung dieser unterschiedlichen Bindungsstrategien verstanden werden.
Das Zuhause als gemeinsamer Lebensraum
Aus systemischer Perspektive wäre gemeinsames Wohnen nicht nur eine organisatorische Entscheidung, sondern auch ein gemeinsames Aushandlungsfeld. Zwei Menschen gestalten ein System – einen Beziehungsraum, der von beiden geschaffen und gehalten wird. Veränderungen, die ein*e Partner*in erlebt, wirken, so verstanden, auf die*den andere*n zurück. Neue Rollen, Gewohnheiten und Erwartungen entstehen und fordern das Paarsystem heraus. Es geht dieser Perspektive nach weniger um Schuld oder Ursache, sondern um das Zusammenspiel: Wie reagiert eine*r, wenn die*der andere Nähe sucht? Wie verändert sich das Verhalten beider, wenn Distanz entsteht? Gibt es typische und sich wiederholende Muster im Miteinander?
In der Praxis zeigt sich manchmal, dass Paare nicht an der Menge der Nähe scheitern, sondern daran, wie sie diese gestalten. Nähe kann dann als zu eng, Distanz als zu weit erlebt werden. Es braucht oft Zeit und Bewusstheit, die eigene Beweglichkeit in diesem Spannungsfeld zu erkennen.
Solche Dynamiken – das Austarieren von Nähe und Distanz, die Gestaltung gemeinsamer Räume und der Umgang mit unterschiedlichen Bindungsbedürfnissen – dürfen Partner*innen miteinander reflektieren. Es ist dabei erlaubt, vielleicht weniger die Lösung eines konkreten Problems in den Vordergrund zu stellen, als vielmehr das Verstehen der eigenen Muster und Beziehungsdynamiken.
Freiräume trotz gemeinsamer Wohnung?
Paare, die zusammenleben, dürfen darauf achten, Freiräume räumlich, zeitlich und emotional zu gestalten. Es muss nicht alles geteilt werden. Und es ist erlaubt, etwas allein, für sich zu tun: bestimmte Zeiten für sich, Aktivitäten ohne die*den Partner*in, eigene Räume, Rückzugsmöglichkeiten. Das ist kein Zeichen von Kälte, sondern Ausdruck von emotionaler Reife. Nähe entsteht nicht nur durch räumliches und körperliches Zusammensein, sondern auch durch gegenseitige Achtung von Autonomie.
So gesehen wäre Beziehung kein Verschmelzungsprozess, sondern ein lebendiges Gleichgewicht zwischen „Ich“ und „Wir“. Gemeinsames Wohnen darf so verstanden vielleicht auch ein Erfahrungsfeld werden – ein Ort, an dem zwei Individuen lernen, gemeinsam zu leben, ohne sich selbst zu verlieren. Verbunden hoffentlich als liebende Partner*innen – auch dann, wenn das Ausbalancieren von Nähe und Distanz, von Ich und Wir ein fortdauernder Prozess bleibt.
Wenn Nähe zu eng wird – Konflikte als Spiegel
Manchmal zeigen sich Nähe- und Distanzkonflikte in kleinen Dingen: im Streit um Ordnung, Lautstärke, Rituale oder Freizeit. Hinter diesen Konflikten steckt oft die Frage nach Raum, Bedeutung und Selbstdefinition. Wer bin ich in dieser Beziehung – und wo bleibe ich mit meinen Bedürfnissen? So betrachtet sind viele Alltagskonflikte weniger Störungen als Spiegel innerer Spannungen.
Vielleicht möchten Partner*innen sich dieser Herausforderung nähern, indem sie solche Konflikte als Kommunikationsformen verstehen, in denen sie sich über ihre unterschiedlichen Bindungsbedürfnisse verständigen. Nicht immer laut, manchmal still – durch Schweigen, Rückzug oder Gereiztheit. Aus dieser Sicht dürfen Nähe- und Distanzkonflikte auch als Entwicklungschance gelesen werden: ein Versuch, die Balance von Autonomie und Verbundenheit neu auszuhandeln.
Selbstreflexionsfragen
- Wie erlebe ich Nähe und Distanz in meiner Beziehung?
- Wann fühle ich mich frei, wann eingeengt?
- Wie viel Autonomie und wie viel gemeinsame Zeit tun mir gut?
- Wie reagiere ich, wenn die*der Partner*in sich zurückzieht?
- Welche meiner Wünsche, Bedürfnisse oder Ängste hängen vielleicht mit meinem Bindungsstil zusammen?
- Wie wollen wir in unserem gemeinsamen Wohnraum zugleich Nähe ermöglichen und Individualität bewahren?
Zum Thema „Gemeinsam Wohnen“ in den Medien
Über das Thema Zusammenziehen und gemeinsames Wohnen habe ich mich auch mit verschiedenen Medien ausgetauscht. Ein Beitrag von Nadine Oberhuber zum Thema erschien in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (2014).
Auch Psychologie Heute widmete sich 2018 in einem Interview mit mir dem Thema „Wohnen zu zweit“ und den Herausforderungen beim Gestalten gemeinsamer Lebensräume (Heft 06/2018, Interview: Sven Rohde).
Außerdem schreibe ich auf meinem Instagram-Kanal immer wieder über Paarkonflikte sowie über Nähe, Verbundenheit und Intimität:
Instagram (Ferdinand Krieg).
Hinweis: Der obige Artikel dient der allgemeinen Information und enthält keinen individuellen therapeutischen Rat. Er ersetzt keine persönliche Beratung, keine ärztliche oder psychiatrische Abklärung oder Behandlung sowie keine Psychotherapie.
Über mein Angebot an Einzeltherapie (Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz) und an Paartherapie in Berlin informiere ich hier: Einzeltherapie, Paartherapie. In der Paartherapie arbeite ich nach einem systemischen und emotionsfokussierten Ansatz.