Sich vom Partner distanzieren und in den Rückzug gehen – Partner distanziert sich…
Veröffentlicht in Paarberatung, Paarbeziehung

Rückzug und Distanz vom Partner, von der Partnerin, passieren manchmal sehr spät. Manche Partner*innen zeigen eine hohe Ausdauerbereitschaft und bleiben in einem Konflikt lange in einer unguten Paarbeziehung. Sie hoffen von Tag zu Tag, dass es doch alles wieder anders, schön wie früher etwa, werde. Auf ein paar liebe Worte folgt die nächste Eskalation. Was gerade erst mühsam wieder aufgerichtet wurde, kracht in sich zusammen. Dies wahrhaben zu wollen – dass das Spielchen „Zuckerbrot und Peitsche“ stattfindet und nicht guttut – braucht seine Zeit. Manchmal bespreche ich so etwas in Berlin mit beiden Partner*innen in einer Paartherapie.
Eine grundsätzlich wichtige Frage ist vielleicht: Was haben wir eigentlich zu verlieren, wenn wir frühzeitig gehen? Gedanken an eine Trennung als letztmögliches Mittel der Wahl werden ebenso durchgespielt wie Gedanken an eine kleine und kurze Trennung – etwa für den Moment als Rückzug in ein anderes Zimmer, als Fahrt zu den Eltern in der Heimat oder zu guten Freund*innen in einer anderen Stadt. Auch eine zeitliche oder räumliche Trennung wird nicht selten angedacht.
Rückzug und Distanz vom Partner – Ohne Distanz geht es in einer Paarbeziehung nicht
Jede Paarbeziehung lebt davon, dass Partner*innen sich einander annähern. Genauso lebensnotwendig für eine Beziehung sind der Rückzug und die Distanz von der*dem Partner*in. 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche nur miteinander zusammenzusitzen, ist nicht unbedingt förderlich. Paare, die das tun, erleben vielleicht gähnende Langeweile oder heftigen Streit. Es fehlt, dass man sich vermisst oder Sehnsucht hat. Der*die Partner*in ist ja ohnehin da. Gegebenenfalls ist es auch, als ob man aufwachen würde. Nach dem Aufwachen reibt man sich irgendwann die Augen und fragt: Wer ist sie eigentlich, die da immer neben mir ist? Wer ist er, der ständig da ist? Wieso machen wir das eigentlich so?
Gute Rückzüge und Distanzen sind Unternehmungen nur mit sich und Freund*innen, ohne den*die Partner*in. Auch persönliche Interessen und Freizeitbeschäftigungen gehören dazu. Der klassische Männerabend oder ein Frauenabend ist außerdem zu erwähnen. Mitunter sind es auch mal Urlaube allein. Auch wenn man zusammengezogen ist und sich als Paar daran gewöhnt hat, ist manchmal ein Auszug okay. Räumliche Distanz muss nicht nur der Anfang vom Ende einer Paarbeziehung bedeuten.
Innerer Rückzug als erste Distanz vom Partner
Es gibt natürlich auch den anderen, den schleichenden Rückzug, der sich innerlich vollzieht und dann doch irgendwann nicht mehr verborgen bleiben kann, wenn die*der andere Partner*in eine gewisse Kälte, Traurigkeit, abwertendes Verhalten, Sarkasmus und Zynismus zu spüren bekommt. Hier lässt sich fragen, weshalb die Flucht in Gedanken und Emotionen nach innen angetreten wird und was verhindert, die Distanz auch räumlich herzustellen. Hier wird kommunikativ und im Verhalten nicht selten gekratzt, gebissen und gemauert – um den eigenen inneren Rückzugsort zu markieren und zu verteidigen, bisweilen aber auch als Mittel, um die*den Partner*in aus der Reserve zu locken und zu einer Verhaltensänderung im Paarkonflikt zu bewegen.
Rückzug, um der*dem Partner*in wieder gerechter zu werden
Sich von der*dem Partner*in zu distanzieren und in den Rückzug zu gehen, ist für viele Partner*innen in einer konflikthaften Beziehungssituation erst einmal ein Mittel der Wahl. Denn wenn Partnerschaftsprobleme so groß und überwältigend werden, dass sie uns die Luft zum Atmen nehmen, möchten sich viele Partner*innen erden und aus der Schusslinie gehen. Sie sehen dann für diesen Moment ein, dass es ein aufopfernd selbstloses Weiter-so! nicht geben kann und sie im Partnerschaftskonflikt gänzlich zerrieben, ja untergehen würden. Außerdem formulieren viele Partner*innen hier das Ziel, einen solchen Rückzug zugunsten einer neuen Sprachfähigkeit vorzunehmen. Sie wollen nach einer Beruhigung durch Distanz neu auf die*den Partner*in zugehen und ihr*ihm dann gerechter werden.
Rückzug für die Paarbeziehung
Wenn sie sich schweren Herzens für einen Rückzug entscheiden, bedeutet dies nicht in jedem Fall eine Kapitulation, auch nicht unbedingt eine Bestrafung desjenigen Gegenübers, mit dem sie es nicht mehr aufnehmen können, mit dem sie nicht mehr klarkommen: Ein Rückzug und eine Distanz bedeuten vielleicht Sicherheitsabstand und die Absicht, einen beziehungsbedrohlichen Kreislauf unterbrechen zu wollen. Die sich zeigende Eskalation, die alles Beziehungsleben, das noch geblieben ist, zu „töten“ droht, soll unterbrochen, abgemildert oder gar beendet werden. Das Paradoxe wäre in solch einer Situation: Eine Person zieht sich zurück und distanziert sich, um in Beziehung zu bleiben.
Warum lohnt es sich aus Sicht mancher Partner*innen, eine Unterbrechung anzustreben, einen Rückzug anzutreten und eine distanzierte Haltung einzunehmen – inhaltlich und räumlich? Ich habe mir in der Paarberatung mit Paaren und einzelnen Partner*innen darüber Gedanken gemacht; auch aus eigener Erfahrung. Folgende Anlässe könnten Gründe für Rückzüge sein – die Liste ist selbstverständlich nicht vollständig:
Rückzug und Distanz vom Partner zur Selbstvergewisserung
Zuallererst könnte es um eine Selbstvergewisserung gehen: Ich bin noch da, es gibt mich, und ich gestehe mir ein, dass das, was gegenwärtig geschieht, nicht zu meinen Gunsten ist. Ich brauche das Gefühl eines eigenen Hoheitsgebietes, von Freiheit, und bin es mir wert, für frische Lebensluft zu sorgen. Das soll heißen: Ein Rückzug ist zuallererst etwas für uns und nicht gegen etwas. Wir handeln aktiv und nehmen unser Recht in Anspruch, vehement für uns zu sorgen; die*der Partner*in tut dies anscheinend nicht und gibt uns in ihrer*seiner Nähe weder Chance noch Raum, es selbst zu tun. Deswegen gehen manche Partner*innen in die Distanz. Sie empfinden dabei Autonomie, Ich-Sein.
Rückzug und Distanz vom Partner für ungestörtes Nachdenken
Der zweite Grund ist, dass wir nachdenken, ordentlich reflektieren wollen – möglichst ungestört. Wir brauchen vielleicht Zeit und Raum, um das Geschehene zu verstehen und vor allem auf uns selbst zu hören. Was wollen wir? Tut uns etwas gut? Ist etwas nicht zielführend?
Rückzug und Distanz vom Partner aufgrund verschiedener Gefühle
Drittens ermöglicht die Distanz vielleicht einen neutraleren Blick. Wenn sich starke Emotionen wie Verzweiflung, Wut, Trauer und Scham legen, können wir eine andere Außenperspektive einnehmen und abwägen, ohne dabei nur emotional zu reagieren. Das bedeutet gegebenenfalls auch: Wir kommen ins Handeln – für uns – und reagieren nicht nur. Jetzt haben auch Familienangehörige, Freund*innen und andere Gelegenheit, mit etwas Vogelperspektive auf das zu schauen, was uns beschäftigt. Sie dürfen uns unterstützen, zu sortieren und einzuschätzen.
Rückzug und Distanz vom Partner nach Zuckerbrot und Peitsche
Viertens brauchen wir Zeit zur Sortierung. Wir haben Gelegenheit, uns selbstverantwortlich und selbstfürsorglich zu begegnen – und suchen vielleicht weniger das „Zuckerbrot“ der*des Partner*in, das uns nur hingeworfen würde, um gleich danach wieder die „Peitsche“ umso energischer zu zücken. Der Rückzug dient hierbei vielleicht auch der Suche nach einem angemessenen Verhalten. Wie soll ich aufgrund dieser Erfahrungen mit mir und der*dem Partner*in umgehen? Wenn ich viele Abwertungen erlebt habe, sortiere ich mich erst einmal. Wenn ich mich bereit sehe, wage ich wieder Schritte auf die*den Partner*in zu.
Rückzug und Distanz vom Partner mit Zukunftsfragen
Hier ist der Rückzug auch eine Form des Nachdenkens. Gefragt wird, was in Zukunft anders sein soll. Wie muss die Beziehung sein, damit ich bleiben kann? Diese Überlegungen und Fragen müssen dann miteinander besprochen werden. Unsere Wünsche an die*den Partner*in und die Paarbeziehung sind wichtig. Vielleicht hat es hierfür bislang keinen Raum gegeben? Oder Partner*innen haben einander gar nicht erst zugehört? Bedürfnisse bleiben vielleicht unausgesprochen oder sind verhallt.
Es ist uns erlaubt zu überlegen, was wir in Zukunft anders machen möchten. Worauf wollen wir besser eingehen? Wie gestalten wir einen aufmerksameren Umgang miteinander? Partner*innen dürfen sich in jedem Fall immer wieder respektvoll und liebevoll über Bedürfnisse unterhalten.
Rückzug und Distanz vom Partner zur Entscheidungsfindung
Letztlich ist für viele Partner*innen die Zeit der Distanz und des Rückzugs auch eine Phase, in der sie eine Entscheidung treffen möchten – nicht als vorschnelle emotionale Reaktion auf eine Streiteskalation oder reaktiv aus einer akuten Enttäuschung heraus, sondern unter Einbezug und Abwägung vernünftiger Argumente. Wieder dürfen uns hier Familienangehörige, Freund*innen oder andere begleiten, Rat- und Impulsgeber*innen sein. Vielleicht gewinnen wir in der Distanz an Entschlusskraft und Zuversicht? Dann dürfen wir sie nun einsetzen, um frei und selbstbewusst zu entscheiden.
Rückzug und Distanz vom Partner als Nachricht
Zu bedenken wäre übrigens auch, ob ein Rückzug von der*dem Partner*in eine Form nonverbaler Kommunikation darstellt. Ist es also eine Botschaft? Jemand, der sich zurückzieht, möchte vielleicht dadurch eine Mitteilung machen. Heftiges Streiten und auch das Zeigen von Gefühlen kann ja bedeuten, in intensiver Bindung mit einem anderen Menschen zu stehen. Vielleicht ist der Rückzug auch gerade das Gegenteil von dem, was getan wird – der Versuch nämlich einer Hinwendung, eines Bittrufs um Nähe und Zuwendung in anderer und echter Qualität; so, als ob man sagte: Komm mir nach! Nimm mich wahr! Mach es dir nicht zu leicht! Bemühe dich um mich!
Hinweis: Dieser Artikel dient ausschließlich der allgemeinen Information und Selbstreflexion. Er ersetzt keine Beratung sowie keine ärztliche, psychiatrische oder psychotherapeutische Abklärung oder Behandlung. Wenn Sie sich persönlich betroffen fühlen, wenden Sie sich bitte an eine Fachperson.
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