Partnerschaftliche Streitkultur – Wenn Partner*innen streiten…
Veröffentlicht in Paarbeziehung
Streitkultur – Wenn Partner*innen streiten…
Paare streiten – und womöglich entwickelt jedes Paar seine ganz eigene Streitkultur. Oder eine Unkultur des Streitens? Dass sich Partner*innen mitunter streiten, muss ja nicht nur schlecht sein. Es kommt auf die Art und Weise des Streitens an – auf die Streitkultur.
Ich möchte in diesem Beitrag das Thema einer partnerschaftlichen Streitkultur aus ausgewählten Perspektiven beleuchten. Dabei ist mir bewusst, dass sich das Thema Streit nicht erschöpfend behandeln lässt. Wer vertieft lesen möchte, findet dazu auch weitere Beiträge in meinem Blog – etwa „Streit in der Beziehung – Über Streit und Streitspiralen“.
Partnerschaftliche Streitkultur – Wenn Paare streiten…
Natürlich begegne ich auch Paaren, die von andauerndem oder heftigem Streit zermürbt sind. Manche denken darüber nach, ihre Partnerschaft zu beenden, wenn sich kein Ausweg aus immer wiederkehrenden Streitspiralen zeigt. Wir haben es hier mit den Negativaspekten von Streit zu tun – mit Auseinandersetzungen, die Partner*innen voneinander entfernen und entfremden. Nicht alles, was gesagt oder getan wurde, ist am nächsten Tag vergessen. Eine Schwamm-drüber-Technik funktioniert selten.
Paare nehmen sich mitunter als Streitpaare wahr. Streit wird dann zum bestimmenden Faktor der Beziehung. Wir sind in Beziehung – aber dieses In-Beziehung-Sein definiert sich über Streit. Wir streiten und sind deshalb noch in Kontakt. Hass und Liebe vermischen sich. Ein differenzierter Blick – etwa die Unterscheidung zwischen Verhalten und Person – geht verloren.
Es muss dabei gar nicht so sein, dass beide den Streit wollen. Manchmal bleibt er wie ein ungebetener Gast, der sich zwischen die Partner*innen drängt. Vielleicht wollte niemand laut werden, und doch geschieht es. Kleine Missverständnisse wachsen, Stimmungen kippen, und am Ende steht ein Gefühl von Erschöpfung.

Wenn es nicht mehr um Inhalte geht…
Manche Partner*innen gestehen ein, dass der Streitinhalt kaum noch entscheidend sei. Es ist vielmehr eine gereizte Grundstimmung, die bei den geringsten Anlässen zu neuen Eskalationen führt. Reizworte, Tonfälle, Blicke – sie genügen, um die nächste Welle auszulösen. Beide kennen die typischen Reizpunkte, und alles wiederholt sich wie nach einem inneren Drehbuch.
Es mag Paare geben, die ohne Auseinandersetzungen leben. Doch Streit ist nicht per se ein Zeichen von Scheitern. Ich erinnere mich an Loriots Film „Pappa ante portas“: Ein Ruheständler kehrt heim, übernimmt Aufgaben im Haushalt, und das gewohnte Gleichgewicht kippt. Konflikte entstehen. Gleichzeitig begegnen wir im Film einem vermeintlich „harmonischen“ Paar, das nie streitet – bis es zerbricht. Vielleicht, weil es nie gelernt hat, Unterschiede auszuhalten. Vielleicht, weil das ständige Wir den liebevollen Blick auf das Ich verdrängte.
Partnerschaftliche Streitkultur als These, Antithese und Synthese
Ich möchte damit sagen: Streit ist nicht grundsätzlich schlecht. Es darf gerungen werden – um Themen, um Werte, um Beziehung. Entscheidend ist das Wie. Eine partnerschaftliche Streitkultur heißt, zu ringen, ohne zu vernichten. Es mag eine Herzensangelegenheit geben, um die gerungen wird, aber in einer Haltung der Achtung. Wer streitet, zeigt: Du bist mir nicht egal.
In diesem Sinne lässt sich Streit auch dialektisch denken: These – Antithese – Synthese. Aus Spannung kann etwas Neues entstehen. Streit darf Bewegung sein, Entwicklung, Ausdruck von Lebendigkeit. Ich streite, weil mir unsere Beziehung nicht gleichgültig ist, weil ich möchte, dass sie wächst.
Streitkultur als Anerkennung weiterer Konfliktebenen
Ein Paar, das sich im Streit erlebt, kann sich fragen: Wie streiten wir? Was ist daran hilfreich, was verletzend? Wie beenden wir Auseinandersetzungen? Und worum geht es uns wirklich, wenn wir streiten?
Oft zeigt sich: Unter der Oberfläche eines Konflikts liegen Enttäuschungen, Sorgen, Wünsche, Hilflosigkeit. Streit kann ein Versuch sein, gehört zu werden. Wenn leise Worte nicht mehr gehört werden, wird die Stimme lauter. Doch das Lauterwerden ist selten die Lösung – eher ein Zeichen von Erschöpfung. Wer immer wieder die gleiche Strategie nutzt, ohne Erfolg, läuft Gefahr, sich im Kreis zu drehen. Vielleicht braucht es dann weniger Lautstärke – und mehr Mut, etwas anders zu versuchen. Mehr zu solchen Kreisläufen lesen Sie im Beitrag Streitspiralen in Paarbeziehungen.
Streitkultur adé – Zoff in der Öffentlichkeit und Rosenkriege
Wenn Streit öffentlich wird, etwa in sozialen Medien oder vor anderen Menschen, verschärft sich die Dynamik. Der Konflikt wird zur Bühne. Wer Publikum sucht, sucht oft Bestätigung – und verliert das Gegenüber aus dem Blick. In solchen Momenten zeigt sich, wie zerbrechlich die Grenze zwischen privatem Ringen und öffentlichem Austragen ist.
In einem Interview mit der Welt am Sonntag (26.04.2014) durfte ich dazu einige Gedanken beitragen: „Paare in der Öffentlichkeit streiten“. Es beschreibt gut, wie schnell Streit eskalieren kann, wenn er zum sozialen Schauspiel wird. Am Ende steht manchmal der Rosenkrieg: Eine Auseinandersetzung, die alles verschlingt. Dann geht es längst nicht mehr um Inhalte, sondern um Sieg, Macht oder Verletzung. Streitkultur wird zur Vergangenheit.
Welche Fehler man beim Streiten machen kann
Zuletzt sei noch auf einen dpa-Artikel hingewiesen, für den unter anderem die Psychologin Felicitas Heyne, der Paartherapeut David Wilchfort und ich befragt wurden: „Bis einer heult – 7 Todsünden beim Streiten mit dem Partner“ (Süddeutsche Zeitung online, 03.12.2014). Dort wird beschrieben, wie aus kleinen Konflikten destruktive Muster entstehen können – und was helfen kann, sie zu unterbrechen.
Auch an anderer Stelle habe ich über Erwartungen geschrieben, die Paare unter Druck setzen können: „Erwartungen und Forderungen an den Partner – Mein Partner fordert zu viel!“
Kurze Fragen & Antworten (FAQ)
Was bedeutet „Streitkultur“?
Streitkultur beschreibt die Art, wie Paare streiten: respektvoll, mit Grenzen und ohne Entwertung – mit dem Ziel, im Kontakt zu bleiben, auch bei Unterschiedlichkeit.
Ist Streiten normal?
Ja. Entscheidend ist, ob Streit verbunden bleibt (Verstehen, Haltung) oder verletzt (Abwertung, Drohungen). Nicht das Vorhandensein von Streit zählt – sondern sein Stil.
Zum Schluss
Streit ist Teil des menschlichen Miteinanders. Entscheidend ist, ob er trennt oder verbindet. Streitkultur bedeutet, den anderen auch im Konflikt zu achten – und den Mut zu haben, die eigene Verletzlichkeit wahrzunehmen. Vielleicht ist der erste Schritt zur Veränderung gar nicht ein neues Argument, sondern ein Moment des Innehaltens. Ein Atemzug. Ein Erkennen: Wir streiten, weil uns etwas aneinander liegt.
Hinweis: Dieser Beitrag dient der allgemeinen Information und Reflexion. Er ersetzt keine Psychotherapie oder Beratung. Er möchte zum Nachdenken anregen – über den Umgang mit Konflikten, über Kommunikation, Nähe und Distanz in Beziehungen.
Über mein Angebot an Gesprächen für Paare in Berlin, in Paartherapie, informiere ich hier: Paartherapie.