Warum bleiben manche Menschen in belastenden Beziehungen? – Über Dynamiken und Hintergründe
Veröffentlicht in Paarbeziehung

Über als belastend erlebte Beziehungen, über sogenannte ‚toxische Beziehungen‘ und über ‚Redflags‘ wird inzwischen viel geschrieben. Das Thema scheint heute stärker ins Bewusstsein gerückt zu sein.
Berichte über belastende Beziehungserfahrungen
Viele Menschen berichten auch mir, dass sie in ihrer Beziehung dauerhaft leiden und sich belastet fühlen. Statt Nähe, Geborgenheit und Stabilität erleben sie in ihrer Partnerschaft vielleicht Unsicherheit – mangelnde Beziehungssicherheit –, Streit, Herabsetzungen und Demütigungen oder das Gefühl, nie wirklich auf Augenhöhe mit der*dem Partner*in zu sein. Manche Menschen berichten mir auch von Symptomen wie Schlafstörungen, ständigem Grübeln, diffusen Ängsten oder einer starken Verlustangst, die den Alltag bestimmen.
Trotz dieser Belastungen fällt es Betroffenen oft schwer, ihre Beziehung zu beenden oder gegenüber der*dem Partner*in und dem gezeigten Verhalten klare Grenzen zu setzen. Die Hoffnung ist da, dass sich etwas ändern. Menschen investieren manchmal übermenschlich viel Energie, um einen romantischen oder sexuellen Kontakt zu retten oder eine Partnerschaft und Ehe zusammenzuhalten – vielleicht auch mit der Idee, die*den Partner*in umzustimmen, liebevoll werden zu lassen und alles zu retten.
Dieses Festhalten und Versuchen – über eigene Grenzen – hat vielleicht tiefere Gründe.
Warum man möglicherweise in unguten Beziehungen „steckenbleibt“
Anbei möchte ich ausgewählte Dynamiken und Hintergründe nennen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder eine abschließend allumfassende Darstellung. Ich bin mir bewusst, dass es noch weitere Anlässe, Gründe und Motivationen gibt, zu bleiben. Vielleicht besteht zu anderer Zeit und an anderem Ort Gelegenheit darauf einzugehen.
Biografisches Gepäck
Meiner Beobachtung nach haben viele Menschen ein biografisches Gepäck dabei, das sie in eine neue Beziehung mitbringen. Ungute Beziehungserfahrungen aus der Kindheit wirken oft unbewusst in die Gegenwart hinein. Wer als Kind wenig Sicherheit oder emotionale Bestätigung erlebt hat, entwickelt vielleicht ein starkes Bedürfnis nach Nähe und Bestätigung, zeigt ein höheres Sicherheitsbedürfnis. In einer Partnerschaft wird dieses Bedürfnis dann besonders stark aktiviert, weil ein*e Partner*in und die Paarbeziehung an eine frühere, ggf. auch die Eltern-Kind-Beziehung erinnern. Nicht selten werden Partner*innen auch mit Elternteilen verglichen, weil sie erinnerlich eine Verhaltensähnlichkeit zeigen – auch in kleineren Details, wie Gestik und Mimik oder einer bestimmten Reaktion auf etwas.
Reinszenierung aus psychodynamischer Sicht
Folgt man einer psychodynamischen Lesart, gibt es so gesehen einen häufigen Mechanismus. Die Theorie besagt, dass Menschen (bewusst oder unbewusst) Partner*innen suchen, bei denen sie hoffen, ein altes Trauma, eine frühere Bindungsverletzung zu überwinden. Sie investieren daher mitunter sehr viel Liebe, Verständnis und Geduld – in der unbewussten Erwartung, dass das Gegenüber sich dieses Mal „endlich“ verändern möge – und sich und somit auch eine eigene alte Wunde schließe. Dieser Prozess wird auch Reinszenierung genannt.
Kollusionsbegriff nach Jürg Willi
Der Schweizer Psychiater Jürg Willi hat den Begriff der Kollusion geprägt und ihn in seinem bekannten Werk Die Zweierbeziehung (1975) vorgestellt. Unter Kollusion versteht man das unbewusste Zusammenspiel zweier Partner*innen, bei dem beide ihre unbewältigten Konflikte und Bedürfnisse in der Beziehung einbringen und gewissermaßen an das Gegenüber delegieren – eine unbewusste Aufteilung und Vereinbarung sozusagen. Ein Beispiel: Die eine Person sucht Halt und Sicherheit und delegiert eigene Stärke ganz an das Gegenüber. Die andere Person genießt die Bewunderung und gefällt sich in einer helfenden Position und hilft – zunächst! – gerne. Zwei Pole sozusagen, wurden gänzlich untereinander aufgeteilt: Ganz schwach, aber bewundernd und aufschauend einerseits, ganz bewundert und helfend, aber nur stark andererseits.
Nur bringt das Leben aber auch Entwicklungswünsche mit sich. Vielleicht möchte die zweite Person irgendwann sich auch einmal schwach fühlen und dann in der Beziehung gehalten wissen – wenn sie es denn wollen und können, denn es gibt ja auch Menschen, die aus Sorge vor Größenverlust niemals schwach sein wollen, aus Schwäche aber die Bewunderung für ihre „Stärke“ brauchen, zugleich aber auch vermeintlich „schwächere“ Menschen verachten (ein Dilemma!). Oder Person 1 möchte selbst auch einmal stark sein und eine helfende Rolle einnehmen. Das führt aber zu Konflikten, wird mitunter als beziehungsbedrohlich empfunden, oder man hat gar keinen Überblick, wo und wie man da gerade zueinander steht. Man verstrickt sich in einer Dynamik, die im Erleben vieler belastend und schwer zu durchbrechen scheint.
Abhängigkeit und Narzissmus – ein oft beschriebenes Zusammenspiel
Das ist gerade schon angedeutet worden: Es gibt Menschen, die brauchen einen vermeintlich schwächeren Part, der sie bewundert. Viele Menschen berichten von Beziehungen, in denen sie stark angepasst, abhängig oder übermäßig fürsorglich werden. Sie haben Angst vor dem Verlassenwerden und tun fast alles, um die Beziehung zu halten. Dieses Verhalten wirkt auf Partner*innen, die eher narzisstische oder selbstunsichere Züge tragen, oft bedrängend. Da sei dann plötzlich zu viel Liebe im Spiel – liebevolle und bedürftige Emotionen werden aber als Schwäche gesehen. Oder da wird sehr viel Liebe gesendet und das verlangt im Erleben mancher dann ja eine Rückantwort durch Verbindlichkeit und Bindung – vielleicht triggert das dann Fluchtimpulse.
Das Gegenüber reagiert dann in eben beschriebenen Konstellationen mit Rückzug, Härte oder Abwertung. Hinter dieser harten Schale verbirgt sich häufig die Abwehr eigener Unsicherheit. Bedürftigkeit oder Schwäche bei der*dem Partner*in erinnern an die eigene Schwäche, die man durch Überhöhung oder Distanz zu verdrängen sucht.
Teufelskreis
So entsteht vielleicht ein Teufelskreis: Je stärker eine Seite aus Angst und Bedürftigkeit heraus klammert, desto mehr zieht sich die andere zurück. Und: Je mehr Ablehnung erlebt wird, desto größer werden die Angst und eine bedürftige Abhängigkeit. Beide Seiten fühlen sich missverstanden und verletzt. Aus systemischer Sicht spricht man hier von Zirkularität: Jede Reaktion ist gleichzeitig mitursächlich und eine Folge auf das Verhalten der*des anderen. Möglicherweise spielt neben der kommunikativen Paardynamik in Form eines Circulus vitiosus aber eben auch noch dieses oben genannte biografische Gepäck mit hinein.
Die Folgen für Betroffene
Viele Menschen berichten, dass sie über längere Zeit in solchen Dynamiken gefangen sind. Ihrer Schilderung nach sind sie mitunter auf verschiedenen Ebenen mit Folgen konfrontiert. Ihrem Erleben nach sind das:
- Psychisch: Grübelneigung, Schuldgefühle, innere Unsicherheit, Selbstzweifel, Verlassensangst.
- Körperlich: Schlafstörungen, Stresssymptome, Erschöpfung, Nervosität. Hier gilt: Körperliche Symptome sollten ärztlich abgeklärt werden.
- Sozial: Rückzug, eingeschränkte Leistungsfähigkeit im Beruf, Belastung von Freundschaften und sozialen Kontakten.
Viele Menschen berichten, dass sich ihr Alltag zunehmend um die Beziehung und deren Krisen dreht.
Fragen an sich selbst
Es ist Menschen ganz grundsätzlich erlaubt, innezuhalten und sich und ihre Beziehung zu reflektieren, inklusive zugehöriger Gedanken, Erfahrungen und Emotionen. Ebenso ist ein Blick auf Muster erlaubt und auch ein Blick auf bisherige Bewältigungsversuche.
Was habe ich bereits unternommen, um mich den belastenden Herausforderungen in meiner Beziehung zu stellen? Und es ist die Frage erlaubt, ob – und wenn ja welche – Bedürfnisse in einer belastenden Beziehung festhalten. Warum bleibe ich, obgleich ich diese Partnerschaft als toxische Beziehung wahrnehme? Es ist auch erlaubt, nach dem eigenen Selbstwert zu fragen und nach eigenen Grenzen. Kann ich in einer problematischen Beziehung meine eigenen Grenzen erkennen und sie auch setzen?
An dieser Stelle ist es mir sehr wichtig zu sagen, dass es mutig ist, überhaupt Beziehungen einzugehen. Es geht für mich dann nicht um ein Label von Versagen, wenn man sich in einer unguten Beziehungssituation verstrickt hat. Vielmehr – so glaube ich – ist so etwas vielleicht ein Hinweis auf tieferliegende Bedürfnisse und Sehnsüchte, die wertschätzend gesehen werden dürfen.
Hinweis: Dieser Beitrag dient ausschließlich der allgemeinen Information und als Impuls zur Selbstreflexion. Er stellt keinen individuellen therapeutischen Rat dar und ersetzt weder eine Beratung noch eine ärztliche und psychiatrische Abklärung sowie keine Psychotherapie. Wenn Sie das Thema berührt, wenden Sie sich bitte an eine Fachperson.
Eine ausführlichere Darstellung meiner Einzelarbeit in Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz in Berlin finden Sie hier: Einzeltherapie.