Ausgefallene Wünsche – wenn ein*e Partner*in besondere sexuelle Vorlieben hat
Veröffentlicht in Paarbeziehung, Sex und Sexualität

Viele Paare erleben Überraschungen im sexuellen Bereich – sei es ausgefallene sexuelle Wünsche oder eine Vorliebe, die sie überraschen. Es ist Beziehungskompetenz gefragt, Fähigkeit zur vertrauensvollen Atmosphäre und offenen Aussprache auf der Ebene als Paar, wenn Erwartungen auseinander gehen.
Konflikt über sexuelle Vorlieben und Wünsche als Thema für Paare
Aus meiner Arbeit mit Paaren in der Sexualberatung weiß ich, dass es viele Paare herausfordert, wenn ein*e Partner*in (plötzlich, nachdem er*sie sich ein Herz gefasst hat) besondere sexuelle Vorlieben und Wünsche äußert. Es tauchen dann vielleicht Fragen und Verunsicherungen auf. Partner*innen fragen sich, ob das Gewünschte normal ist oder ob das krank ist. Sie fragen sich, ob man so etwas in eine Beziehung integrieren sollte. Und auch, ob der bisherige Beziehungssex überhaupt erfüllend war – oder eben nur Show, nur Befriedigung light sozusagen. Ich beobachte, dass viele Fragen auftauchen, es Gelegenheiten zu Missverständnissen bestehen und auch manchmal ein Anliegen, mehr zu verstehen, was es mit den Wünschen auf sich hat. Zudem steht die Frage im Raum, ob es mit der Paar- und Sexualbeziehung weitergeht. Und, ob man eine*n Partner*in nun mit anderen Augen sieht.
Kinks, Fetische, Awareness, Missverständnisse
Nicht jedes Paar ist sozusagen kink aware und hat sich in entsprechenden Szenen und Veranstaltungen informiert, pflegt hier Kontakte und hat vielleicht etwas ausprobiert. Es ist eben durchaus denkbar, dass man miteinander unerfahren ist. Begriffe werden jongliert und durcheinander gewürfelt. Man unterscheidet gegebenenfalls nicht zwischen einem Kink (besondere oder ungewöhnliche Vorliebe), Fetisch (begehrtes Körperteil oder unbelebtes Objekt) und einer Fetischistischen oder Präferenzproblematik mit Leidensdruck – wenn nur ein bestimmter und eng gefasster Stimulus bei Lust und Erregung unterstützt, zwingend erforderlich ist und dieses zu einem seelischen Leidensdruck führt. Ob Kink oder Fetisch oder anders – entscheidend ist nicht der Begriff, sondern ob ein sexuelles Wünschen und Handel frei, lustvoll und konsensual gelebt werden kann oder ob sie mit Leidensdruck verbunden ist bzw. andere schädigt.
Es gibt einfach Vorlieben und Wünsche, die zwar, was die Häufigkeit ihres Vorkommens anbelangt, besonders sind. Sie sind aber nicht schädlich – wenn sie auf Augenhöhe, einvernehmlich, neugierig und gerne geteilt werden: Sneakers und Socks als erotischer Inhalt und sexueller Stimulus, eine Vorliebe für Füße, für bestimmte Unterwäsche – etwa des anderen Geschlechts –, das Schlüpfen in bestimmte Rollen und Fantasiespiele, Bondage und Fesselspiele, konsensuale Dominanz und Unterwerfung uvm. Ja, das mag verunsichern, wenn man darauf steht, Fragen aufwerfen und vielleicht auch belasten – aus Scham oder weil es gefühltermaßen in der sexuellen Entfaltung einschränkt. Andere Menschen hingegen sagen, dass es sie unterstützt und sie froh sind, etwas für sie begehrenswertes gefunden zu haben.
Eine fachärztliche Abklärung – nicht ein Gespräch in meiner Praxis! – ist dann nötig, wenn andere Personen – insbesondere nicht-einwilligungsfähige Personen – durch ein (potentiell) strafbewehrtes Verhalten zu Schaden kommen (könnten) und kein Konsens besteht bzw. bestehen kann.
Sexuelle Wünsche als seelische Belastung und Herausforderung für die Beziehung
Das Thema einer nicht gelingenden oder belasteten Integrationsbemühung um einen Einbezug besonderer Vorlieben und Wünsche in eine Sexualbeziehung ist für viele Paare und auch einzelne Partner*innen sehr belastend – oft schambesetzt, mit Ablehnungserfahrungen verbunden und manchmal über mehrere Beziehungen hinweg. Mitunter scheitern Beziehungen oder sie werden erst gar nicht mehr angestrebt. In der ICD-10 wird ein entsprechendes psychisches Konflikt- und Belastungserleben als „Sexuelle Beziehungsstörung“ (F66.2) beschrieben. Auch wenn dieser Eintrag in der ICD-11 entfällt, bleibt das Konfliktgeschehen in Paarbeziehungen und für Einzelne vermutlich in vielen Fällen bestehen – verbunden mit Schamgefühlen, mit seelischem Druck, Sorge vor dem Verlust der Beziehung und mit Fragen nach Intimität und sexueller Passung.
Paarprobleme zum Thema ausgefallener Vorlieben
Das klingt alles etwas kompliziert und ist natürlich fachlich formuliert. Vielleicht können wir versuchen das ein wenig zu übersetzen. Ohne den Anspruch zu haben, es korrekt und erschöpfend zu umschreiben.
Im Grunde geht es um eine Paarproblematik. Partner*innen finden sexuell nicht (wie gewünscht) zueinander. Unterschiedliches Wollen oder Sein wird als trennend erlebt. In einer Beziehung gelingt es den Partner*innen nicht, miteinander eine unbeschwerte Sexualbeziehung zu leben.
Hinderungsgrund ist beispielsweise, dass man, angesichts besonders ausgefallener Sexualwünsche eines*einer Partner*in, einen Konflikt in der Beziehung erlebt. Es kommt bei Partner*innen zur Frage nach einer sexuellen Passung. Passen wir sexuell zusammen? Bekommen wir einen partnerschaftlichen Sex hin, der für beide anschlußfähig ist und als gleichermaßen erfüllend und befriedigend erlebt wird? Oder muss ein*e Partner*in auf etwas verzichten? Oder ein*e Partner*in etwas tun, was sie*er gar nicht will?
In einem solchen Konflikt strebt mindestens ein(e) Partner*in den Sex, der von beiden durchgeführt würde, so nicht an und will ihn nicht wirklich – lehnt ihn ab. Etwa weil der favorisierte Stimulus fehlt, um den es in dem besonderen Wollen geht (etwa ein Begehrensobjekt Füße oder ein bestimmtes favorisiertes Verhalten, z. B. ein Rollenspiel). Oder weil es „zu sehr“ darum gehen soll.
Mitunter führt auch ein*e Partner*in den Paarsex gar nicht mehr durch, wenn nicht das begehrte Objekt oder die gewünschte Praktik in den Sex eingebaut wird. Oder man erlebt die*den Partner*in als nicht wirklich bei der Sache, weil der gemeinsame Standardsex eigentlich abgelehnt wird. Das verunsichert vielleicht wieder die*den andere Partner*in. Vielleicht lehnt ein*e Partner*in dann auch nicht nur das sexuell Gewollte ab, sondern den Partner*in, die*der diese Wünsche hat ingesamt. Ein*e Partner*in schämt sich zusätzlich vielleicht auch für besondere Vorlieben, entwickelt Schuldgefühle und vermeidet dann Sex in der Paarbeziehung – und ggf. auch jedwede Kommunikation über sexuelle Wünsche, Bedürfnisse und Vorstellungen.
Sex zu Bestätigung und Verbindung auf der Paarebene steht nicht zur Verfügung
Sex als eine Möglichkeit, sich liebevoll und lustvoll zu verbinden, zu bestätigen, zu versöhnen, Beziehung auszudrücken und um sich verbunden zu fühlen, bleibt in der Folge aus. Entweder, weil Sex ganz unterbleibt, oder weil er in engen Grenzen stattfindet, die für eine*n Partner*in nicht alle gewünschten Funktionen von Sex ermöglichen, bzw. ein(e) Partner*in sich nicht vollumfänglich in den Sex beigegeben kann – gedanklich, emotional sozusagen mit einem Fuß außerhalb des Bettes steht -. Das mag für manche Paare ok sein, für andere wohl nicht.
Umgang mit Paarkonflikt um ausgefallenen Wünsche
Einige Paare gleichen diesen Umstand vielleicht an anderer Stelle aus, wieder andere wohl aber nicht. Das Moment ist hier sicherlich auch das Verunsichernde, das Trennende, das Paare vielleicht erleben. Zu vermuten steht ja, dass neben Scham und Schuldgefühlen, in konflikthaftem Streiten um sexuelle Wünsche und Bedürfnisse vielleicht Bewertungen, Abwertungen und somit auch Kränkungen erfolgen. Wenn etwa ein bedrängendes Ringen um Klarheit und Transparenz mit Rückzug und Intransparenz beantworten werden; und somit in der Logik dieses Zusammenspiels nur zu noch mehr Nachrücken und Nachfragen einladen. Zu dem sexuell Nichtzueinanderfinden tritt dann auch ein kommunikativ trennendes Moment. Überhaupt stellen Partner*innen vielleicht die Frage, ob und wie es angesichts des Konflikts eine Zukunft für die Beziehung gibt.
Reflexionsfragen für Paare und Partner*innen
- Bin ich neugierig und möchte zuzuhören, oder überwiegen Scham und Angst?
- Welche Bedeutung hat Intimität in einer Beziehung für mich, jenseits von Praktiken und Kinks?
- Gelingt es mir nachzuvollziehen, worin für meine*n Partner*in der Reiz an einem Kink besteht?
- Haben wir einen befriedigenden Paarsex auch ohne die besonderen Vorlieben?
- Was bedeutet sexuelle Befriedigung für mich genau?
- Haben wir uns unsere sexuellen Lebensgeschichten erzählt?
- Sehe ich eine besondere Vorliebe eher als Ressource und Kompetenz oder als Hindernis?
- Kann ich klar äußern, was für mich okay ist – und was nicht?
- Kenne und erkenne ich Grenzen? Kann ich Grenzen setzen?
- Welche Gefühle löst es bei mir aus, wenn mein*e Partner*in besondere Vorlieben äußert?
Der obige Beitrag soll nicht zu einer Art Selbstdiagnose verwendet werden. Er dient der allgemeinen Information und als Impuls zur Selbstreflexion. Er ersetzt keine Beratung, keine ärztliche oder psychiatrische Abklärung und Behandlung sowie keine Psychotherapie. Wenn dich das Thema berührt, wende dich gerne an eine Fachperson.
Der Autor: Ferdinand Krieg. Derzeit im berufsbegleitenden Masterstudium der Sexologie. Heilpraktiker beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie. Arbeit als Paar- und Sexualberater in Berlin. Weitergebildet in Systemischer Therapie und Beratung (SG), in Systemischer Paartherapie (SIH) und in Systemischer Sexualtherapie (DGfS). Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) und des Fachverband Sexologie Schweiz (FSS).
Über mein Angebot an Einzelbegleitung und Gesprächen für Paare, die sich vor dem Hintergrund besonderer Vorlieben – die nicht in den medizinisch-psychiatrischen Bereich fallen – reflektieren möchten, informiere ich hier: Ich biete ich in Berlin Sexualtherapie und Sexualberatung für Paare an.