Aussprache über sexuelle Bedürfnisse in der Partnerschaft
Veröffentlicht in Paarbeziehung, Sex und Sexualität
Wann haben Sie zuletzt mit Ihrer*ihrem Partner*in über Ihre sexuellen Wünsche gesprochen? Manche Paare vermeiden, so meine Beobachtung, ein Reden über sexuelle Wünsche in ihrer Partnerschaft für lange Zeit. Eine Aussprache über sexuelle Bedürfnisse in Partnerschaft, fällt nicht jedem Paar leicht. Ich erlebe immer wieder, wie Partner*innen in Paartherapien miteinander um den Inhalt, die Tiefe und um den Zeitpunkt einer Kommunikation über sexuelle Bedürfnisse in einer Paarbeziehung ringen. Manchmal fragen sich einzelne Partner*innen auch in einer Sexualtherapie bei mir grundsätzlich, ob ihre Wünsche in Ordnung sind – oder in Bezug auf eine*n Partner*in und eine Beziehung kaum vermittelbar.
Sexuelle Bedürfnisse – Biografie und kulturelle Prägung
Es mag schwer fallen, über Sex mit einer*einem Partner*in ins Gespräch zu kommen, insofern man, etwa aufgrund der eigenen Biografie und aufgrund kultureller Prägung vielleicht nicht gewohnt, Sex und Sexualität zu besprechen. Eltern haben wenig Zärtlichkeit vorgelebt, haben das Thema Sex vielleicht tabuisiert oder dazu geschwiegen. In der Folge werden sexuelle Bedürfnisse nicht artikuliert, vielleicht nicht einmal nach innen, sozusagen in einer inneren Auseinandersetzung und Befassung wahrgenommen, angenommen und benannt.
Instabile Partnerschaft und intime Wünsche
Nicht nur biografische Vorerfahrungen und Prägungen, sondern auch eine instabile Partnerschaft, in der man fürchten muss, für sexuelle Wünsche abgelehnt, abgewertet oder verurteilt zu werden, verhindert vielleicht eine offene Aussprache zum Thema Sex und Sexualität. Wer davon ausgehen muss, für sein Wollen und Wünschen ausgelacht und abgewiesen zu werden, sich Verachtung oder eine Zurückweisung einzufangen, überlegt es sich irgendwann. Er*sie verstummt gegebenenfalls zu diesem Thema ganz. In meiner Arbeit mit Paaren und Einzelpersonen begegnet mir häufig eine Angst, mit einem sexuellen Wunsch ‚zu viel‘ oder ‚falsch‘ zu sein. Meiner Beobachtung nach schweigen viele Partner*innen in ihrer Beziehung lieber, als das Risiko von Streit, Verunsicherung und Zurückweisung einzugehen – man nimmt zum Beispiel unerfüllte Wünsche hin, weil man befürchtet ein*e Partner*in oder eine Beziehung andernfalls zu sehr herauszufordern. Manchmal wirft der Impuls, eine Wunschäußerung zu unterlassen auch grundsätzliche Fragen im Hinblick auf eine Beziehung auf. Bin ich hier richtig? Nehme ich diese Beziehung als für mich stimmig wahr? Gegebenenfalls ist man nicht bereit oder passt es situativ nicht, solche Grundsatzfragen zu stellen.
Rivalität und Konfliktspannung und Kommunikation über sexuelle Bedürfnisse
Mitunter gelingt aber auch aus Rivalität, aus einer paardynamischen Konfliktspannung heraus, ein notwendiger Konsens nicht, etwa zu Qualität und Quantität von Sex in der Paarbeziehung. Da die Abstimmung und das Erzielen eines Konsenses scheitert, bleibt der Sex auf der Strecke. Man hat beispielsweise nicht gelernt, sich abzustimmen, weder verbal noch nonverbal: Das bedeutet, man ist nicht ohne Weiteres in der Lage, Grenzen zu erkennen – eigene und die des Gegenübers –, oder man traut sich nicht, in gutem Sinne, Einladungen für ein neues Terrain auszusprechen. Etwa, weil man gar nicht um ein weiteres Terrain weiß, oder weil man ängstlich und verhalten denkt, dass das Einladen an und für sich bereits ein Zuviel wäre.
Enttäuschungen und Kränkungen in der Beziehung
Aber nicht nur Streit und Instabilität in der Beziehung, sondern auch Enttäuschungs- und Kränkungserfahrungen in der Beziehungsgeschichte sind vielleicht für manche Paare relevant. Eine emotionale und versöhnliche Nähe gibt es gegebenenfalls nicht. Man ist auf Sicherheitsabstand gegangen. Auch, um mit Signalwirkung zu zeigen, hier gibt es eine Enttäuschung, hier gibt es eine Kränkung. Und warum sollte man dann eine vielleicht als nicht kongruent empfundene körperliche Nähe zulassen. Für die einen mag eine Art von Versöhnungssex stimmig sein, für viele andere – meiner Beobachtung nach – nicht. Und sich sexuell etwas zu wünschen, liegt hier womöglich noch ferner, als überhaupt sich an Sex heranzuwagen.
Unwissenheit, Unsicherheiten und Schamgefühle rund um Sexualität
Aber es sind vielleicht nicht nur paardynamische Auseinandersetzungen und Beziehungskonflikte die zählen. Auch Unwissenheit über sexuelle Stimulation und allgemeine Unsicherheiten beim Vollzug von Sex oder das Vorliegen psychischer Sexualprobleme (etwa einer belastenden Abneigung und Angst vor Sex, psychogenen Herausforderungen mit dem Orgasmus, psychogenen Erektionsproblemen, einem psychisch bedingten vorzeitigen Kommen) – beziehungsweise auch Schamgefühle angesichts körperlicher Einschränkungen – mögen insofern Sex verhindern, als das Sprechen über Bedürfnisse unterbleibt, weil aus Schuld- und Schamgefühlen Vermeidung die gewählte Bewältigungsstrategie geworden ist. Lieber es nicht mehr versuchen, nicht erneut darüber sprechen und sich und das Gegenüber nicht mehr damit konfrontieren. Schließlich ist gegebenenfalls nicht nur das eigene Selbstbild als Liebhaber*in infrage gestellt, sondern auch eine Beziehung insgesamt. Es geht vielleicht auch um Versagensängste, Leistungsdruck oder die Angst um den Fortbestand der Beziehung. Darüber wird aber nicht gesprochen. Oder es wird thematisiert, aber aus der Not heraus eskalativ, fordernd und anklagend.
Aus den Augen verloren – Sexuelle Entfremdung und Intimitätsverlust
Schauen wir noch auf einen anderen Punkt: Alles ist harmonisch, man ist ein gutes und eingespieltes Team: Eltern, Haushaltsmanager*innen, Berufstätige und vieles mehr. Aber als sexuelle Menschen hat man sich womöglich aus den Augen verloren. Man begreift sich in der Partnerschaft, in Gefühlen und Gedanken sowie in Bezug auf den eigenen Körper nicht mehr als sexuell. Man funktioniert vielleicht als Mama, als Papa, als Berufsmensch, als Verwaltungsperson, als Organisationstalent des Alltags. Aber man bewohnt den Körper nicht mehr als erotischen Raum, hat den Zugang zu sich – und der*dem Partner*in – als erotischem Menschen verloren. Das bedeutet vielleicht auch, dass man das Signal nach außen gibt: Ich möchte nicht begehrt, nicht berührt, nicht verführt und nicht zu Sex eingeladen werden. Ganz im Gegenteil: Sex wäre eine Zusatzaufgabe, die zu erledigen wäre, sozusagen eine zusätzliche Last.
Ewige Wiederkunft des Gleichen – Langeweile im Bett
Aber wenn es nun Sex gibt in der Beziehung? Wenn der Sex sich im Erleben der Partner*innen in Routine und in der ewigen Wiederkunft des Gleichen erschöpft, mag für manche der Reiz des Unbekannten, die Differenz, der geheimnisvolle Abstand fehlen. Stattdessen wird das Erwartbare erwartet, so, als sollte man jeden Tag das gleiche Gericht aufgetischt bekommen. Das mag für manche stimmig sein, sozusagen einen solchen konservativen Sex zu betreiben. Man weiß, was man hat, und das was man hat ist möglicherweise vertraut, schön, emotional und ritualisiertes Gutsein miteinander. Vielleicht wird aber auch etwas anderes gesucht, etwas Neues, Unerwartetes und Verändertes.
Sexuelle Bedürfnisse in der Partnerschaft ansprechen
Paare dürfen sich damit befassen, wie sie Erotik und Sex in ihrer Beziehung gestalten wollen. Es kommt ihnen dabei möglicherweise auch auf eine Gelegenheit zur Kommunikation über sexuelle Bedürfnisse in einer Partnerschaft an. Dafür braucht es vielleicht nicht nur eine Sprachfähigkeit – Reden über Sex fällt mitunter ja immer noch schwer? –, eine gute Beziehungsdynamik – also eine Stimmung, in der es eine wertschätzende und liebevolle Bereitschaft zum Gespräch gibt –, sondern auch Zeit und Raum – manchmal auch in Konkurrenz zu vielen wichtigen anderen Dingen?
Ich habe anbei einige Fragen als Anregung zur Selbstreflexion gelistet. Vielleicht möchte sich ein Paar Zeit nehmen und darüber in den Austausch gehen? Oder man nimmt die Fragen für sich einzeln mit, um sie in einer Zeit mit sich selbst zu reflektieren.
Fragen zur Selbstreflexion
- Welche Bedürfnisse vermuten Sie, gibt es in Ihrer Beziehung?
- Fällt es mir leicht, über meine sexuellen Wünsche zu sprechen?
- Welche Erfahrungen aus meiner Biografie beeinflussen vielleicht mein Sprechen oder Schweigen über Sexualität?
- Erlebe ich Unterschiede zwischen meinem Wunsch nach Nähe und dem, was ich tatsächlich (er)lebe?
- Haben sich in meiner Beziehung Routinen entwickelt, die unser Sexualleben beeinflussen?
- Wünsche ich mir etwas anders – mehr oder weniger von etwas?
- Wenn ich das Sexualleben in unserer Beziehung bewerten würde – auf einer Skala zwischen 0 bis 10 (10 ist maximal gut), was würde ich vergeben? Und mein*e Partner*in? Was würde sie*er sagen?
- Ist das Beste an Sex in der gegenwärtigen Beziehung – in meinen Beziehungen – schon vorgekommen oder ist es noch zu erwarten? Und was wäre das?
- Wie würde ich meine und seine*ihre Rolle beim Sex beschreiben – wie gehen wir jeweils vor? Was ist uns wichtig?
Hinweis: Der obige Beitrag ersetzt keine ärztliche oder psychiatrische Abklärung und Behandlung sowie keine Psychotherapie. Bei sexuellen Problemen ist es wichtig, zunächst eine ärztliche Fachperson zu fragen, ob medizinische Ursachen vorliegen. Dieser Beitrag soll nicht zu einer Art Selbstdiagnose verwendet werden.
Vielleicht möchte sich ein Paar oder ein*e einzelne Partner*in auch im Rahmen einer Sexualtherapie reflektieren und in einem moderierten Prozess, mit sich, mit seiner intimen Kommunikation und mit dem partnerschaftlichen Sexualleben auseinandersetzen. Dafür habe ich hier Hinweise zu meinem Gesprächsangebot verlinkt: Sexualtherapie.